David Ostrowski & Michail Pirgelis, Nothing Happened, Buchhandlung Walther König, 2016
The artists David Ostrowski and Michail Pirgelis met 2003 while studying at the Kunstakademie Düsseldorf and became close friends. Both based in Cologne, they have exhibited together several times, jointly initiated the MD Bar in Cologne and are each other's most honest critics. On the occasion of their exhibition "To Lose" at Leopold-Hoesch-Museum, Düren in 2016, they transcribed an intimate conversation about their friendship, their art, their obsessions and their dreams. We're happy to be publishing this dialogue on artfridge [only available in german].
DO: Wir haben uns ja 2003 beim Studium an der Kunstakademie Düsseldorf kennengelernt. Wir mussten zwei Semester im sogenannten Orientierungsbereich absolvieren, bevor man anschließend in eine richtige Klasse aufgenommen wurde. Ich wurde von meiner Mutter fast tagtäglich dazu getrieben, dort anwesend zu sein, und bin ständig von Köln nach Düsseldorf gefahren. Du warst allerdings nie da – das fand ich ziemlich cool.
MP: Ich habe im Archiv einer Bank gearbeitet und konnte nicht kommen. Mein Job war damals, eine Menge Akten zu verwalten. Wie war deine Orientierungszeit an der Akademie?
DO: Dass das der Grund deiner Abwesenheit war, habe ich damals erst spät realisiert. Ich war sehr damit beschäftigt, den Mädels zu gefallen. Was meine sonstige Orientierung anging, war ich orientierungslos und habe nie schlechter gemalt als während meiner gesamten Laufzeit an der Akademie. Du hingegen hast damals schon einen roten Faden in deiner Arbeit gehabt, den du bis heute konsequent verfolgst.
MP: Ich habe schon sehr früh begonnen, mich für Flugzeuge zu interessieren. Nach der Schule habe ich Ingenieurwesen studiert, das Studium jedoch abgebrochen. Mir wurde bewusst, dass es weniger der technische Aspekt ist, der mich an der Luftfahrt interessiert. Schließlich bewarb ich mich an der Kunstakademie mit einer Mappe voller Zeichnungen von ausrangierten Flugzeugteilen. Ich mochte deine Bilder während des Studiums, aber wahrscheinlich beruhte dies nur auf Sympathie.
DO: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ein paar der Dozenten, aber auch manche der Studenten im O-Bereich, deine Arbeit bei Kolloquien wenig angenommen haben. Damals dachte ich, sie seien sauer, weil du eine Ahnung davon hattest, was du da treibst. Es war sehr amüsant.
MP: Die Dozenten haben ihren Job sehr ernst genommen und waren eher sauer, dass ich mich nicht oft blicken ließ. Erzähl mir etwas über Köln. Du warst derjenige, der mir während des Studiums gesagt hat: „Du musst nach Köln!“ – und das sehr überzeugend.
DO: Ihren Job ernst genommen haben die Dozenten in der Tat. Bei einer meiner Arbeitsbesprechungen habe ich behauptet, auf einer Leinwand Vögel gemalt zu haben, die weggeflogen seien. Sie sagten nur, dieses würde man nicht sehen. Dich konnte ich erstaunlicherweise leicht überzeugen, nach Köln zu kommen, aber das mag daran liegen, dass du zu Menschen, die du sympathisch findest, nur schlecht Nein sagen kannst. Mein Eindruck war: Der Typ ist aus Essen und zieht sich gerne zurück. Köln schien dafür prädestiniert. Ich selber bin ja in Köln geboren und mochte die Übersicht.
MP: Ich bin in Griechenland auf dem Land aufgewachsen; dort war es sehr beschaulich. Während des Studiums hörte man ständig Geschichten über Köln aus den Achtzigern, da hatte ich ein komplett falsches Bild. Ich dachte eher an eine Metropole. Als ich nach Köln kam, war die Party vorbei, aber es fühlte sich gut an.
DO: Köln scheint bis heute von seinem Achtzigerjahre-Image zu leben. Wenn man sich heute mit Musikern oder Künstlern in New York über Köln unterhält, sind alle begeistert von der Stadt, aber sie ziehen dennoch nach Berlin. Es ist, als würden ein Karnivore und ein Veganer über Haxe schwärmen. Mein Lieblingssatz, was das semi-interessante Städtethema angeht, ist derzeit: „Berlin ist keine Stadt, Berlin ist eine Lebenseinstellung.“ Es ist so unfreiwillig komisch.
MP: In Berlin ist die Luft besser.
DO: Du hörst kaum Musik und gerne mal Autoradio.
MP: Ich höre immer nur die Stauschau. Hast du nicht einmal gesagt, Musik ist überbewertet?
DO: Ich habe mich sogar noch schlimmer über Musik geäußert. Es ist eine Hassliebe, weil ich mir früh eingestehen musste, dass die Malerei nicht annähernd so stark, so schnell und so einfach Emotionen erzeugen kann. Es klingt pathetisch, was es auch sein soll, aber an erster Stelle steht für mich die Musik, dann kommt lange nichts. Ich tröste mich ein wenig mit der Hoffnung, dass meine Arbeiten eines Tages musikalisch sein könnten. Wir kennen uns jetzt seit 13 Jahren und ich habe dich nicht einmal etwas summen, geschweige denn singen hören.
MP: Musik ist das höchste der Gefühle, aber ich muss nicht fröhlich durch die Gegend pfeifen. Du dagegen kannst singen und hörst wahnsinnig laut Musik, wenn du malst. Neuerdings steht ein Schlagzeug bei dir im Atelier – die Nachbarn beschweren sich ständig, wenn du spielst. Willst du sie nur ärgern oder hilft es dir loszulassen?
DO: Immer wenn ich Schlagzeug spiele, überkommt mich ein ungutes Gefühl, dass meine Nachbarn sich beschweren könnten. Tatsächlich ist es nur einmal vorgekommen, da die Tänzer nebenan einen Auftritt hatten und durch mich aus dem Takt gerieten, was nicht gerade für mein Taktgefühl spricht. Ich bin harmoniesüchtig und suche keinen Ärger. Lauter Techno und Metal beruhigen mich.
MP: Unsere Freundschaft begann 2003. Es war irgendwie schnell klar, dass das eine längere Geschichte mit uns wird. Wir haben recht früh zusammen ausgestellt. Unsere erste Ausstellung war in Köln und hieß „Wie man aus einer Affäre gleich zwei macht“. Es folgten weitere gemeinsame Ausstellungen, Projekte und Reisen. Schließlich zogen wir in ein gemeinsames Atelier – wie konnte das passieren?
DO: Ich denke, wir beide waren damals unkonzentriert, und ehe man sich’s versah ist 2016. Das geschieht in den besten Ehen. Generell empfinde ich es als ungünstig, mit Künstlerkollegen über Kunst und selbiges Genre zu reden. Es führt bestenfalls zu Missverständnissen. Was uns zu verbinden scheint, ist die Freude daran, Projekte spontan und intuitiv zu realisieren, ohne viel ausdiskutieren zu müssen.
MP: Man kann durchaus mit Künstlerkollegen über Kunst reden, finde ich. Das größere Missverständnis ist allerdings, dass man generell über das eigene Werk reden möchte. Lass uns lieber über Sport reden. Wie steht es um deine Fitness im Atelier?
DO: Meine Fitness im Atelier lässt zu wünschen übrig. Allerdings bewege ich mich viel während der Malprozesse, da ich ständig Dinge suchen muss. Ich fahre außerdem mit dem Fahrrad ins Studio. Dazu muss ich lediglich über die Rheinbrücke fahren. Es ist die schnellste Möglichkeit, dort hinzukommen. In der Jugend war ich Leistungsschwimmer, aber nur, weil mir im Wasser kalt war. Kommt dein Bizeps vom Flugzeugteile Schleppen? Viele der größeren Teile, mit denen du arbeitest, wiegen erschreckenderweise nur sehr wenig.
MP: Ja, das Material ist aus Aluminium und fühlt sich leicht an. Es gibt allerdings auch Teile, die Titan beinhalten. Diese zu schneiden und zu bewegen, gestaltet sich meistens schwierig. Generell sind Flugzeuge nicht dafür konzipiert, auseinandergeschnitten zu werden. Das Material ist zwar dünn, dennoch hartnäckig und zäh. Bei meinen ersten Arbeiten während des Studiums hatte ich es etwas einfacher, da war das Zerlegen noch kein Thema. Die Arbeiten setzten sich ausschließlich aus Leihgaben zusammen. Es handelte sich um Ersatzteile aus Passagierflugzeugen, die völlig funktionstüchtig im Lager warteten, um wieder in neuere Flugzeuge eingebaut zu werden. Die Teile waren fachgerecht demontiert und die minimalste Veränderung wurde untersagt. Ich nutzte die Chance, sie mir auszuleihen und diese für kurze Zeit in den Kunstkontext zu verschieben. Heute fliegen die Objekte von damals unerkannt um die Welt oder sind bereits verschrottet.
DO: Es ist eine beängstigende Vorstellung, dass Flugzeugteile aus einer deiner Ausstellungen ihren Weg zurück in ein Flugzeug gefunden haben. Einmal hast du dich in einem Flugzeug mit deinem eigenen Flugzeuggurt angeschnallt. Diesen hattest du zuvor ausgestellt.
MP: Ich habe den Gurt während eines Besuches auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste von Arizona entdeckt und aus dem Sand gezogen. Der Gurt war völlig intakt. Daraufhin habe ich lediglich das Airline-Emblem an der Schnalle abgeschliffen. Ist es nicht die Suche nach Abstraktion, die uns vorantreibt?
DO: Mein Antrieb ist es vielmehr, etwas Neues zu schaffen, etwas Unverständliches, das man nicht kennt, oder es zumindest so gut von mir geklaut ist, dass es zu meinem wird und überraschend bleibt. Malerei ist für mich die Sinnsuche im Unsinn. Es geht mir nicht um das Verstehen, sondern um das Nicht-Verstehen.
MP: Du verzichtest oft auf Wände und lässt deine Bilder immer wieder in Räumen frei hängen. Du sprichst von „Bilder fliegen lassen“.
DO: Ja, ich möchte meinen Bildern das Fliegen ermöglichen. Der Raum wird nebenbei mit einbezogen und es fühlt sich frei an. Ich mag die Idee des Unwahrscheinlichen. Es verhält sich für mich ähnlich, wie, dass der Mensch nicht in die Luft gehört. Mit dem einzigen Unterschied, dass meine Arbeiten von durchsichtigen Nylonfäden herunterhängen. Es ist alles nur Illusion.
MP: Illusion ist eine Sinnestäuschung, welche meist durch die Verwendung von technischen Mitteln und Tricks hervorgerufen wird, und am Ende bleibt bestenfalls eine zersägte Jungfrau. Erstaunlicherweise gelingt sie dir mit wenigen Mitteln. In deiner Malerei verwendest du kaum Farbe, verzichtest dabei grundsätzlich auf Pinsel und manchmal lässt du die Grundierung deiner Leinwände ganz weg. Du bist ein Meister des Weglassens.
DO: Wenn du das sagst, klingt es sogar glaubwürdig. Ich versuche, mit den wenigsten Mitteln die höchst mögliche Emotion zu erzeugen. Die Idee, dass Malerei auch Zauberei sein könnte, gefällt mir gut. Stell dir vor, eines Tages als der David Copperfield der Kunst besprochen zu werden. Es gibt Künstler, die in den Bereich der Effekthascherei oder der Wissenschaft abdriften. Interessanter wäre vielmehr, eine Form der Hochstapelei mit Klasse zu finden. Viele Künstler reden ja generell gerne und öffentlich über ihre Arbeit und ihre Ausstellungen, beispielsweise in Museen oder bei sonstigen Vorträgen. Es wird entmystifiziert, was das Zeug hält. Es fühlt sich für mich so an, als würden viele Kollegen das Im-Rampenlicht-Stehen gegen das Preisgeben ihrer Zaubertricks eintauschen. Ich halte es ja da lieber so: And for my next trick, I’ll disappoint you without even trying.
MP: Bei der Zauberei steht und fällt alles mit dem Gelingen eines Tricks. Erst wenn die Illusion vollbracht ist und die Leute auf eine Reise geschickt wurden, spricht man von einer gelungenen Show. Die Überraschung in Folge muss Geschwindigkeit und Härte aufweisen, dennoch sollte es leicht aussehen. Ich frage mich, ob es diese Form von Leichtigkeit ist, die dein Werk ausmacht, oder eher das Scheitern deiner Zauberkünste.
DO: Ich bin, was meine Arbeit angeht, sowohl mit der Begrifflichkeit von Leichtigkeit als auch mit der des Scheiterns einverstanden. Im Atelier wende ich Tricks an, die zum Kontrollverlust führen sollen, aber vor allen Dingen versuche ich loszulassen. Ideen und Konzepte empfinde ich als überbewertet für meine Arbeitsweise, da es vielmehr um den erhofften Zufall geht. Vor einiger Zeit half der Fehler, aber man verkopft schnell und dann wird es zur Routine, was der Sache entgegenwirkt und langweilt. Man muss sich in der Stimmung wiegen, um darauf zu kommen. Wie würdest du deine Arbeit beschreiben?
MP: Bei mir ist es weniger der Drang, etwas Neues schaffen zu wollen, als vielmehr den Blick auf das Vorhandene zu richten. Im Gegensatz zu dir arbeite ich sehr kontrolliert. Fehler würden mich in den Wahnsinn treiben. Zufall ist keine Option, denn das Material lässt keine Korrekturen zu. Es gibt nur diesen einen Versuch.
DO: Dabei geht doch mit Sicherheit oft etwas schief und ein ganzes Teil ist dann auf einmal unbrauchbar. Was treibt dich dennoch an?
MP: Mein Interesse gilt Materialien aus der Luftfahrt, aber eigentlich ist es vor allem die Suche nach authentischen Stoffen, die eine besondere Historie aufweisen, die mich antreibt. Es ist nicht mein Anliegen, den technischen Fortschritt zu kennzeichnen oder zu enthüllen. Vielmehr interessiert mich, den Zweck des Materials zu entfremden und auf eine andere Realität hinzuweisen.
MP: Findest du es seltsam, dass wir uns gegenseitig Fragen stellen? Immerhin kennen wir uns gut.
DO: Nein, es fühlt sich für mich an, als würden wir etwas festhalten, das wir größtenteils schon voneinander wissen. Du?
MP: Ich bin mir nicht sicher. Schließlich bist du als Interviewpartner schon einmal durchgefallen. Wie war das noch gleich mit dem Gespräch mit Albert Oehlen?
DO: Das war vor zwei Jahren. Es gab ein „Vogue Special“ über Mario Testino. Dieser fragte an, ob ich ein Gespräch mit Albert für diese Ausgabe führen könnte. Ich überlegte mir die Fragen, auf die Albert geantwortet hat. Ich fand sie fabelhaft. Es wurde nie veröffentlicht.
MP: Wie war die Zeit in der Klasse von Albert während des Studiums?
DO: Es war eine interessante Zeit. Wir waren eine kleine Klasse, überwiegend männlich und kamen uns unglaublich sexy vor. Da ich während meines Studiums ein Atelier in Köln hatte, fanden meine Kolloquien überwiegend dort statt, was sehr entspannt war. Zwischenzeitlich besuchte man Albert auch in Spanien und der Schweiz, und ich trank Säfte und Cola. Die Fahrten nach Düsseldorf an die Akademie fühlten sich für mich allerdings mehr nach Urlaub an. Es war gut, einen Dialog mit Albert über Malerei zu führen und in einem Boot voller Narren zu sitzen, aber es gab auch viele peinliche Momente.
MP: Was war denn so peinlich?
DO: Ich glaube, wir waren Albert zwischenzeitlich ein bisschen peinlich. Immerhin ging es ja auch ein bisschen um seinen Ruf und keiner seiner Studenten hatte bereits seine eigene Handschrift gefunden. Stattdessen suchten viele in ihm eine Vaterfigur. Er hat versucht, von unserem mangelnden „Können“ abzulenken, indem man beispielsweise zum alljährlichen Rundgang ein Gemeinschaftsbild gemalt hat. Somit konnte man nicht rauslesen, wie schlecht wir waren.
MP: Verstehe. Ich dachte eher an eine Verweigerung gegenüber dem Rundgang. Ich erinnere mich an deine Prüfung. Das war das einzige Mal, dass ich überhaupt Arbeiten von euch zum Rundgang gesehen habe.
DO: Es war auch jedes Jahr aufs Neue als Verweigerung gedacht, aber tatsächlich wäre es unangenehmer gewesen, unsere eigenen Arbeiten zu zeigen. Bei der Prüfungsausstellung musste dann jeder seine Hose runterlassen, und es war ernüchternd.
MP: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Während des Studiums wurde man oft von Künstlerkollegen gefragt, ob man Arbeiten tauschen möchte. Nach dem Studium hatte ich immer die Hoffnung auf ein Tauschgeschäft mit einem Zahnarzt oder einem Automechaniker. Das wäre für dich vielleicht weniger interessant, immerhin hast du gute Zähne und ein Auto besitzt du nicht. Sammelst du Kunst?
DO: Wenn ich Arbeiten von Künstlern sehe, die ich spannend finde und es möglich ist, diese nach Hause zu holen, tue ich das. Anfänglich waren es viele Fotografien, weil ich wenig Zugang dazu hatte und Fotos nervig fand. Sobald man Kunst einmal zu Hause hat, kann man in Ruhe darüber nachdenken, ob man die jeweiligen Arbeiten wirklich gut findet. Momentan ist alle Kunst, die ich habe, an die Wand gelehnt. Nicht ein einziges Werk hängt.
MP: Warum hängst du sie nicht?
DO: Weil sie sich dann zu wichtig nehmen.
David Ostrowski & Michail Pirgelis, Nothing Happened, Sprüth Magers, Los Angeles, 2016
David Ostrowski & Michail Pirgelis, Nothing Happened, Sprüth Magers, Los Angeles, 2016
Michail Pirgelis, Kapsel II, 2012
David Ostrowski & Michail Pirgelis, A show about painting, Jan Kaps, Cologne, 2013
David Ostrowski & Michail Pirgelis, A show about painting, Jan Kaps, Cologne, 2013
DO: Ziehst du dich im Atelier um?
MP: Ich nehme es mir immer vor. Nach einigen Unfällen habe ich mir extra Schutzkleidung und Arbeitsschuhe besorgt. Darin fühle ich mich allerdings eingeengt und arbeite deswegen weiterhin in Jeans und Pulli. Sicherlich nicht die sicherste Art, um Flugzeuge zu zerlegen. Aber immerhin trage ich eine Maske und Handschuhe. Wie sieht es bei dir aus, Overall?
DO: Ich ziehe mich schon lange nicht mehr um, weil ich es als hinderlich empfinde, so zu arbeiten. In Arbeitsbekleidung fühle ich mich unter Druck gesetzt. Ich besitze nicht ein einziges Kleidungsstück ohne Flecken, aber meine Hände sind immer sauber. Ich befreie mich gern als erstes, wenn ich das Atelier betrete. Im Sommer arbeite ich immer nackt.
MP: Erstaunlich, dass du aus dem Atelier mit sauberen Händen kommst. Du wühlst oft im Dreck, dein Atelier ist eine einzige Müllhalde. Bist du inzwischen die Ratten los?
DO: Wenn du wüsstest, was ich dort noch so treibe, würdest du mir nicht einmal mehr das Feuer reichen. Jetzt mal im ernst: Den Ratten ist es im Atelier zu ungemütlich geworden. Die bin ich los. Ich brauche den ganzen Dreck, um diesen von meinen Bildern fernzuhalten Außerdem kann ich so besser zwischen schön und hässlich unterscheiden. Ein weiterer Vorteil ist, dass meine Bilder zwischen dem ganzen Chaos positiv auffallen. Daher sind Ausstellungen in Institutionen und Galerien eine Herausforderung.
MP: Lass uns über Schönheit reden. Im Moment malst du weiße Bilder, von Dreck keine Spur. Verbindest du mit der Farbe Weiß pure Schönheit oder ist es die Leere, die wahre Schönheit für dich ausmacht?
DO: Ich verbinde mit weißer Farbe Unschuld und Reinheit. Außerdem ist Weiß am neutralsten. Auch scheint mir Weiß an den Nullpunkt am nächsten heranzukommen. Manchmal benutze ich gefundene Reste aus dem Atelier – klebe oder spanne diese auf die Leinwand, wie zum Beispiel dreckige Baumwolle. Es ist ein Versuch, die Klaviatur von Schönheitsmerkmalen in meinen Bildern abzuarbeiten. Meine Leinwände werden hoffentlich immer schlank wirken und gut duften.
MP: Eine schöne Vorstellung. Bei Weiß fällt mir noch eine andere Frage ein, die dir kürzlich bei einem Interview gestellt wurde, dabei muss ich lachen: „Alpinaweiß ist Europas meistverkaufte Innenfarbe, ideal für Heimwerker. Das heißt, deine Vibration des Weiß ist nichts als Wandfarbe?“
DO: Genau. Ich arbeite nur mit den reduziertesten Materialien. Diese sind weniger mit Informationen beladen. Je einfacher desto besser. Ein teuer und aufwendig ausgestattetes Musikstudio führt nicht gleich dazu, bessere Musik zu machen. Eine der Arbeiten, die mir von dir am eindrucksvollsten in Erinnerung geblieben ist, war ein Brunnen, den du damals bei mir im Atelier ausgestellt hast. Kannst du beschreiben, wie du diesen gebaut hast?
MP: Nichts aufwendiges, ein paar Holzplatten, etwas Technik und eine Marmorplatte, die ich im Sperrmüll gefunden habe. Ich wollte etwas Beruhigendes in dein Atelier stellen. Geräusche von fließendem Wasser als Kontrastprogramm zu der Musik, die während der Gruppenausstellung in deinem Atelier lief. Du hast einen fürchterlichen Musikgeschmack.
DO: Würdest du diesen Brunnen gegen eine Arbeit von mir tauschen? Der Brunnen wäre für mich wie ein Altar. Mein Musikgeschmack verunsichert dich, weil deine Vorurteile über dein nicht vorhandenes Gehör bestimmen. Bei Musik haben für mich die Melodie und die Harmonie Priorität, da ist der Interpret zweitrangig. In deiner Anwesenheit darf ich den Namen Grönemeyer nicht einmal aussprechen. Ich glaube letzte Woche hast du Migräne von Michael Bublé bekommen, weil er wie ein Waschlappen aussieht und Fans mit Thrombosestrümpfen hat. Sein Coversong: „Home“ führt zu Flugzeugen in meinem Bauch.
MP: Das wird wohl nichts mit dem Tausch, denn der Brunnen ist inzwischen im Müll gelandet. Die meisten deiner CDs sehe ich ebenfalls dort. Melodie hin oder her, vielleicht solltest du etwas strenger bei deiner Musikauswahl sein. Dinge in den Müll zu schmeißen, kann sehr befreiend sein.
DO: Interessant, dass du Arbeiten von dir in den Müll wirfst, die ich am spannendsten von finde. Primitive Musik empfinde ich als befreiend. Vielleicht ist es auch ein Ausgleich zu einer Haltung und den Vorgehensweisen, die im Atelier stattfinden. Dort wird präzise hingeschaut und gemalt, was ich höre.
David Ostrowski, F (Wenn ich mich langweilen will, fahre ich in einen Stau), 2016
David Ostrowski & Michail Pirgelis, To Lose, Leopold-Hoesch-Museum, Düren, 2016
David Ostrowski & Michail Pirgelis, To Lose, Leopold-Hoesch-Museum, Düren, 2016
David Ostrowski & Michail-Pirgelis, GSK-Gesellschaft für streitorientierte Kulturforschung, Düsseldorf, 2010
MP: Ich kenne niemanden, der so wenig Klamotten besitzt, wie du. Du trägst immer die gleiche Hose, hast den gleichen Pulli an, zwischendurch wird gewaschen und immer wieder dasselbe angezogen, bis sich der Stoff irgendwann auflöst und die Klamotten auseinander fallen. Du bist doch sonst nicht so bescheiden.
DO: Mich nervt Kleidung. Irgendwann beschloss ich, von der selben Firma immer wieder die gleichen Klamotten in dunkelblau zu kaufen. Somit trage ich Uniform. Meinst du bescheiden oder beschnitten?
MP: Fassen wir kurz zusammen: Du warst ein miserabler Student, Ideen empfindest du als überbewertet, eines Tages würdest du gerne als der David Copperfield der Kunst besprochen werden und du bist beschnitten. Sonst noch was?
DO: Bei den sonstigen Dingen werde ich juristisch und medizinisch betreut. Wer sind deine Lieblingskünstler?
MP: Lass uns lieber über Lieblingswerke reden. Es gibt da diese eine Arbeit von Richard Serra – „To Encircle Base Plate Hexagon, Right Angles Inverted“ von 1970. Riesige kreisförmige Metallstreben wurden in den Asphalt einer Straße in der Bronx eingelassen. Da wäre ich unheimlich gern dabei gewesen. Ist es bei dir noch der Mondrian?
DO: Allerdings, diese Arbeit von Serra ist grandios! Sowohl das Werk als auch die Wahl des Stadtteils sind sehr prophezeiend. Mondrian ist für mich der Größte. Neulich bin ich zufällig auf meine Lieblingsarbeit – „Composition with Blue and Yellow“, 1933, – im Moderna Museet in Stockholm gestoßen und war verzaubert. Ähnlich dessen, wie es mir mit deinem Brunnen erging, der entsorgt wurde.
This conversation was originally published in the catalogue "David Ostrowski & Michail Pirgelis. Nothing Happened / To Lose",
published on the occasion of the exhibition "David Ostrowski & Michail Pirgelis. To Lose." at Leopold-Hoesch-Museum, Düren 6.3.-29.5.2016
Editor: Leopold-Hoesch Museum, Renate Goldmann
Publisher: Verlag Der Buchhandlung Walther König
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This conversation was originally published in the catalogue "David Ostrowski & Michail Pirgelis. Nothing Happened / To Lose",
published on the occasion of the exhibition "David Ostrowski & Michail Pirgelis. To Lose." at Leopold-Hoesch-Museum, Düren 6.3.-29.5.2016
Editor: Leopold-Hoesch Museum, Renate Goldmann
Publisher: Verlag Der Buchhandlung Walther König
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